Papas Liebling oder Mamas Augenstern? Wenn Außenstehende den Eindruck haben, dass Eltern ein Lieblingskind haben, liegen sie damit oft überraschend richtig. Ein Kind lieber zu mögen, bedeutet aber nicht automatisch eine Ungleichbehandlung.
Eine Studie, die sowohl die Antworten von Müttern als auch Vätern mit mehreren Kindern ausgewertet hat, hat gezeigt, dass nahezu 2/3 der befragten Eltern ein tendenzielles Lieblingskind besitzen. Bei den Männern waren es mit rund 70 % der Teilnehmer sogar noch etwas mehr als auf der Frauenseite mit 65 %. Und wahrscheinlich standen nicht einmal alle Teilnehmer:innen zu ihrem unbewussten Empfinden. Interessanterweise scheinen dabei Mütter und Väter das jeweils andere Geschlecht zu bevorzugen – also die Mutter die Söhne und der Vater die Töchter (wenn denn jeweils vorhanden). Auch die Intelligenz und das Aussehen können bei der Verteilung der Zuneigung eine Rolle spielen. Aber woher kommt das und was hat das für Konsequenzen für die Eltern-Kind-Beziehung?
Warum haben manche Eltern Lieblingskinder?
Inhaltsverzeichnis
Die Gründe für eine (mehr oder weniger offen gezeigte) Bevorzugung eines Kindes sind sehr vielfältig. Manchmal ist einer alleine ausschlaggebend, manchmal kommen auch mehrere zusammen. Hier einmal eine Liste der am häufigsten angegebenen Antworten:
- Ähnlichkeit macht attraktiv. Kinder, in denen sich ihre Eltern optisch und charakterlich wiedererkennen, kommen sehr gut an. Bei diesen haben ihre Mütter und Väter oft das Gefühl, ihre Stimmungen besser lesen zu können. Somit haben sie schnell eine Idee, was das Kind möglicherweise braucht und möchte.
- Irritierende Merkmale, die Eltern (insgeheim) ablehnen, führen manchmal zu Konfrontationen. Beispielsweise kann es schwierig werden zwischen sehr aufbrausend wütenden Kindern und sehr diszipliniert-ruhigen Eltern. Oder Eltern denken, dass eine eigene, für ungünstig gehaltene Eigenschaft durchschlagen könnte und sich nun Sorgen machen, ob es das Kind damit nicht vielleicht auch schwer haben wird.
- Der männliche Stammhalter und die zarte, schöne, schützenswerte Tochter. Ja, auch diesen Ansatz gibt es immer noch. Wie Du ihn bewerten möchtest, ist selbstverständlich Dir selbst überlassen. Auf jeden Fall spielt er in vielen Familien bei der Sympathiestreuung offenbar eine nicht ganz unwesentliche Rolle.
- Eines (oder mehrere) der Kinder ist ein Wunschkind, die anderen nicht. Eine solche Konstellation tritt häufiger ein, als man vielleicht denkt. Möglicherweise kennst Du sie selbst aus Deinem Umfeld. Was Eltern daraus machen, ist sehr unterschiedlich. Manche entdecken in ihrem kleinen „Zufallstreffer“ im Laufe der Zeit noch das ganz große Glück, andere bekommen die Krise. Oder ein absolutes Wunschkind entwickelt sich nicht wie gedacht und die Eltern bemerken an einem anderen schon vorhandenen oder später dazugekommenen Kind tolle Schokoladenseiten.
Bewahre die Fairness
So oder so liegt die Tendenz zum Lieblingskind also in den meisten Fällen eher an den persönlichen Präferenzen der Mütter und Väter als am Verhalten, am Aussehen und der Intelligenz ihrer Töchter und Söhne. Insofern ist es sinnvoll, Dich selbst diesbezüglich einmal zu hinterfragen, wenn auch Du zum Lieblingskind-Haben neigst und Dir nicht sicher bist, ob sich alles im gesunden Bereich bewegt. Es ist nämlich absolut keine Schande, ein Kind ein bisschen mehr zu mögen als ein anderes. Dennoch sollte die grundsätzliche Fairness gewahrt bleiben. Jedes Kind sollte sich gleich behandelt und für seine individuelle Existenz geliebt und geschätzt fühlen. Eine Ungleichbehandlung gegenüber dem einen Kind – sei’s eine Bevorzugung oder eine Benachteiligung – ist immer ungerecht und kann schlimme Auswirkungen auf das Selbstwertgefühl haben oder Eifersucht begünstigen.
Wie reagieren Kinder auf ihre ‚Lieblingskind-Position‘?
Logischerweise unterschiedlich und ganz abhängig davon, ob es sich bei ihnen um das vermutete Lieblingskind oder ein anderes handelt.
Das Lieblingskind
Lieblingskinder freuen sich meistens darüber, dass sie einen ausgeprägten Rückhalt von den Eltern spüren. Dieser wirkt sich im positiven Fall als echter Kick für das Ego aus. In der Konsequenz führt ein so gestärktes Selbstbewusstsein zu mehr Mut und Einsatz bei diversen Projekten. Sei es im Sport, in der Schule oder bei ganz anderen Veranstaltungen. Mädchen und Jungen, die dabei viel Wert auf eine gute und gerechte Geschwisterbeziehung legen, handeln zudem manchmal zusätzliche Gefallen für die anderen mit heraus. Oder mit anderen Worten: Wenn ein bestimmter Elternteil einen Kinobesuch oder Eis für alle spendieren soll, ist es ja meist schlau, wenn genau das Lieblingskind danach fragt.
Andererseits nutzen manche Kinder ihren Lieblingskind-Status und die Ungleichbehandlung zu ihren Gunsten auch dafür aus, ihre Geschwister noch mehr aufzuziehen und zu gängeln. Und im ungünstigsten Fall fühlen sich Lieblingskinder von der Erwartungshaltung von Mutter und/oder Vater („Jetzt habe ich Dich doch schon so unterstützt, da wirst Du doch wohl wenigstens …!“) so unter Druck gesetzt, dass sie ängstlich werden und sich zurückziehen.
Das „andere“ Kind
Geschwister, die sich nicht als Lieblingskind wahrnehmen, versuchen oft, etwas mehr Aufmerksamkeit auf sich und ihr eigenes Tun zu lenken. Das geschieht dadurch, dass sie das Lieblingskind möglichst genau kopieren oder dass sie sich als das genaue Gegenteil erweisen. Aber auch ein stiller Rückzug aus der Familiengemeinschaft ist möglich, falls das Kind sich benachteiligt fühlt und den Eindruck hat, komplett alleine dazustehen und bei keinem Bruder, bei keiner Schwester und keinem Elternteil punkten zu können. Eine solche Ungleichbehandlung kann ein Kind zu einem Einzelgänger machen oder den Wunsch nach einer Ersatzfamilie wecken.
Eventuell sucht es sich dann eine andere Gesellschaft, die ihm ein gutes Gefühl vermittelt, weil sie ihm die gewünschte (gefühlt) höhere Wertschätzung entgegenbringt. Ein Tun, das sich als gut und sinnvoll herausstellen kann. Wahrscheinlich ist ein waschechter Handballer oder eine Handballerin in einer reinen Ballettgruppe nicht dauerhaft glücklich und es spricht weder etwas gegen Handball noch gegen Ballett. Jeder nach seiner eigenen Art eben. Dennoch sollten Eltern darauf achten, dass ihnen ihr Kind nicht komplett entgleitet, denn ein destruktives fremdes Umfeld wird unter Umständen zu einer ernsten Gefahr.
Was können Eltern tun, um allen Kindern gerecht zu werden?
Erst einmal ist festzustellen: In vielen Fällen wird das Essen nicht so heiß gegessen, wie es gekocht wird. Die meisten Kinder bemerken zwar, dass Mama oder Papa ein Kind ganz besonders schätzen. Sie werden es aber vergleichsweise entspannt nehmen, wenn sie feststellen, dass sie dennoch geliebt und geschätzt werden. Zudem kommt es oft vor, dass auch die Kinder einen speziellen Elternteil bevorzugen. Geht alles über Kreuz auf und ist der Zusammenhalt in der Familie stark, dürfte diese Herausforderung gut zu bewältigen sein.
Stellst Du fest, dass Du eine Deiner Töchter oder einen Deiner Söhne besonders gern hast, kannst Du Dich natürlich fragen, woran das liegt. Eventuell trifft ja einer der oben genannten Gründe zu, vielleicht liegt es an Deiner/Eurer anderweitigen aktuellen Lebenssituation. Wichtig ist dabei so oder so, dass Du Deine Wünsche, Ängste und Erwartungen nicht über Gebühr auf ein Kind projizierst und es zu keiner Ungleichbehandlung kommt. Sei es Dein Lieblingskind oder ein anderes, Du solltest immer alle Kinder gleich gerecht behandeln. Es ist völlig normal, wenn die Erwartungen der Eltern nicht immer mit denen der Kinder übereinstimmen.
Jedes von ihnen hat ein Recht darauf, als Individuum wahrgenommen und geschätzt zu werden. Mit all seinen Vorzügen und allem, was eine Herausforderung darstellen könnte. So können aus Kindern Erwachsene mit einem gesunden Selbstbewusstsein, Empathie und Offenheit werden. Menschen, die ebenfalls lieben und andere sowie deren Eigenheiten akzeptieren können. Und das ist doch das Wichtigste, oder?